Jahrestagung 2014

Rechtspopulismus in Ost und West als Herausforderung für Europa

- Bericht von der Jahrestagung der Evangelischen Gesellschaft für Ost-West-Begegnung -

 

Der politische Populismus ist eng verbunden mit dem demokratischen Gedanken selbst. Einzelne Elemente dieses Phänomens sind in der Geschichte staatlicher Demokratien immer wieder zu finden. Die besonderen Facetten des zur Massenmobilisierung in einem frei-heitlichen Verfassungsstaat eingesetzten populistischen Handlungsinstrumentariums zeigten sich nur wenige Jahrzehnte nach dem Erringen der Unabhängigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika Anfang des 19. Jahrhunderts im politischen Leben der jungen Nation. Eben dort trat Ende desselben Jahrhunderts auch die „Populist Party“ als machtvolle Bewegung in Erscheinung, auf die der Begriff „Populismus“ für ein Handlungsschema in der politischen Auseinandersetzung zurückgeht. Anders als in Europa hat er in den USA im Allgemeinen politischen Diskurs bis heute einen guten Klang.

 

Ansatz für populistische Strategien sind, wie der Unterzeichner in seinem einführenden Referat auf der Tagung darlegte, Verlusterfahrungen weiter Bevölkerungskreise, die ihren Ausgang meist in wirtschaftlichen Einbußen haben, sich dann aber schnell zu einer als Störung der kulturellen Identität in einem allgemeinen Sinn empfunden Krise anwachsen. Die hochgemuten Versprechungen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung konnten im rauen Klima der von frühkapitalistischen Gesetzen bestimmten, rasant fortschreitenden Industrialisierung von vielen kleinen Farmern, selbständigen Handwerkern und Lohn-arbeitern schon bald nicht in ihrer eigenen Lebenswelt wiedererkannt werden. In den gesellschaftlichen Gärungsprozessen der im Aufbau befindlichen, immer wieder große Einwanderungsströme aufnehmenden Nation traten solche Entfremdungsklagen großer Bevölkerungsteile im 19. Jahrhundert in wiederkehrenden Wellen auf. Die Situationen wurden von – meist mit charismatischer Begabung gesegneten – Politikern genutzt, um breite Massen mit einfachen Erklärungen komplexer Sachverhalte und Versprechungen schnell wirkender Heilmittel für sich einzunehmen. Dabei wurde ein Bündel von Handlungsmecha- nismen eingesetzt, deren Eigenarten sowohl in Bezug auf die einzelne Aktion wie auch in der Kombination mehrerer Kampagnestile zueinander in verblüffender Weise Konstanten aufwiesen: Dazu gehörte das Anprangern elitärer, angeblich aus bloßem Eigeninteresse handelnden Machtcliquen in Regierungsverantwortung, großen industriellen Komplexen und im Bankwesen, die nicht selten gar mit dem Vorwurf verschwörerischen Wirkens konfrontiert wurden. Ihnen gegenübergestellt wurde in holzschnittartig-idealisierter Form das mit ihrer sinnvollen Arbeit dem Gemeinwohl verpflichtete „wirkliche Volk“, das freilich um sein Recht geprellt werde. Dieses dem einfachen, „ehrlich“ arbeitenden Bürger gemachte Angebot der Selbstvergewisserung wurde indessen regelmäßig komplettiert durch die feindselige, mittels offener Bezichtigungen vorgenommener Ausgrenzung ebenfalls nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen begünstigter Bevölkerungsteile, die vielfach gar mehr zu entbehren hatten als die werbend Angesprochenen. Diese mit einem in der sozialen Hierarchie abwärts gerichteten Blick bei der Suche nach Sündenböcken – die als spezifisches Merkmal des Rechtspopulismus gilt – traf anfangs Schwarze und Indianer, Mitte des Jahrhunderts die Millionen der einwandernden Iren und anderer katholischer Immigranten, denen ihr dem protestantischen Ethos nicht gerecht werdender Glaube zum Verhängnis wurde, und Ende des Jahrhunderts die asiatische Immigranten, vornehmlich Chinesen. Populistische Bewegungen haben eine Reihe staatlicher Reformen zu initiieren vermocht – vielfach bei Ausschluss der als kulturell nicht dazugehörig angesehenen Einwohner von den Begünstigungen.

 

André Krause, Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster, schilderte die rechtspopulistische Mobilisierung in den Niederlanden und in Frankreich. Die Partei für die Freiheit (PVV) und der Front Nationale (FN) weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf, die folgerichtig vor den letzten Europawahlen zu einer Absprache über eine engere Zusammenarbeit geführt haben. Einhelligkeit bei der gegen das institutionelle Establishment gerichteten Haltung herrscht bei der Ablehnung der Zugehörigkeit des jeweiligen Landes zur – als „Monster“ eingestuften – Europäischen Union. Der FN betont allerdings stärker die dem eigenen Land vorbehaltene Souveränität und landesspezifische Identität und wendet sich auch gegen landeseigene Machteliten wie den Banken bis hin zu Vorstellungen über deren Verstaatlichung. Um dem Volkswillen verstärkt zur Geltung bringen zu können, sollen Formen direkter Demokratie eingeführt werden. Die PVV will die Niederlande eher auf eine gesamteuropäische Mission zur Abwehr des Islam verpflichten, der nicht als Religion, sondern als totalitäre Ideologie angesehen wird, in verschwörerischer Weise gerichtet auf die Weltherrschaft. Die Einwanderung aus islamischen Staaten soll unterbunden, auf dem Islam fußende Lebensäußerungen zurückgedrängt werden. Hier gibt es eine enge Verwandtschaft zur Sichtweise des FN: Der Islam wird als „Besatzungsmacht“ betrachtet. Das seit über hundert Jahren geltende Trennungsprinzip im Verhältnis zwischen Staat und Kirche soll in doppelter Weise eine Korrektur erfahren – bei der gezielten Abwehr von Formen islamischer Religionsausübung und zugleich des Hervorhebens des christlichen Fundaments der französischen Kultur. Das ebenfalls althergebrachte Geburtsortsprinzip im französischen Staatsangehörigkeitsrecht soll durch das Abstammungsprinzip ersetzt werden. Der Empfang von Sozialleistungen soll allein Franzosen vorbehalten bleiben. Bei der Resonanz der populistischen Parteien beider Länder leistet die starke Personifizierung ihrer Führungspersonen (Geert Wilders, Marine Le Pen, Tochter des Parteigründers Marie Le Pen) einen maßgeblichen Beitrag.

 

Seit dem Ende der Blockkonfrontation haben sich in den Staaten Ost- und Ostmitteleuropas ebenfalls populistische Bewegungen gebildet, die nur unter Berücksichtigung der Bedingungen der historischen Ausnahmesituation zu verstehen sind.

 

Für Polen, das Mitte des letzten Jahrzehnts kurzzeitig eine aus drei populistischen Parteien gebildet Regierung besaß, angeführt von „Recht und Gerechtigkeit“, der heute größten Oppositionspartei, zeichnete Stefan Garsztecki, Technische Universität Chemnitz, die Entwicklung nach, die den Boden für populistische Bewegungen bereitet hat. Die mit dem Transformationsprozess – wie in anderen früheren Ostblockländern auch – verbundenen zu hohen Erwartungen an eine schnellere Besserung des wirtschaftlichen Lebensstandards und die dann zwangsläufig folgende Enttäuschung führte zu einer Kritik an den Vereinbarungen der Beteiligten des „Runden Tisches“, mit denen man den Kommunisten zu weit entgegengekommen sei. Das bildet zugleich den Ansatz für eine Kritik an den Eliten der neuen staatlichen Ordnung, die im Wesentlichen auch die des kommunistischen Regimes gewesen seien. Damit einher ging das Herausstellen der antikommunistischen Tradition des Landes, das im Westen nicht genügend Würdigung erfahre, der Stolz auf den historischen Erfolg beim Wiedererlangen der Staatlichkeit und die Rückbesinnung auf einen Wertekonservatismus, der dem Gemeinschaftssinn Vorrang vor einem ausgeprägten Individualismus einräume und der maßgeblich durch traditionelle, christlich fundierte Vorstellungen bestimmt sei, etwa über Ehe und Familie.

 

Anders als Polen hat Ungarn noch heute eine von einer rechtspopulistischen Partei gebildete Regierung, die sich gar auf eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit stützen kann und deren Politik seit ihrem Antritt im Jahre 2010 von harter Kritik gekennzeichnete Schlagzeiten gemacht hat und gegenwärtig weiter macht. Zoltán Kiszelly, Universität Székesfehérvár und zugleich Berater der ungarischen Regierung, skizzierte die schwierigen Bedingungen, unter denen Politik in Ungarn gemacht werden müsse. Die Transformation habe keine Annäherung an das westliche Lebensniveau gebracht. Die letzte „Wohlstandsperiode“ liege 30 Jahre zurück. Es herrsche eine Sehnsucht nach den alten Zeiten der kommunistischen Herrschaft. Die jetzige staatliche Ordnung werde als Demokratie ohne Wohlstand gesehen. Die Fidesz-Partei sehe den Populismus als Mittel, die festgefahrenen Verhältnisse zu überwinden. Geboten sei eine forcierte, aufholende Modernisierung. Dabei solle den Stimmungen in der Bevölkerung entgegengekommen werden, durchaus im Sinne eines Regierens „nach Meinungsumfragen“. Damit solle auch verhindert werden, dass Wähler zu Anti-System-Parteien abwanderten, zumal zur rechtsextremistischen Partei „Jobbik“. Fidesz breche durchaus Tabus. Immer wieder auftretende Konflikte mit der EU würden überschätzt: Die ungarische Regierung wehre sich dagegen, dass sie den Nachweis der europarechtlichen Konformität ihrer Gesetze erbringen müsse und bestehe umgekehrt auf dem durch die EU geführten Nachweis von angeblichen Verstößen gegen Europarecht. Traditionelle gesellschaftliche und nationale Werte würden gestärkt. Die Lebenswirklichkeit sei aber von Liberalität geprägt.

 

Sehr viel kritischer sah Lászlo Levente Balogh, Universität Debrecen, das Wirken der ungarischen Regierung. Weil traditionelle Werte in der Gesellschaft nur noch schwach verankert seien, würde eine nationale und christliche Tradition zwecks Polarisierung ideologischer Auseinandersetzungen imaginiert. Die Folge seien auch ersonnene Feindbilder, gegen die zur Rettung der Nation zu Felde gezogen werden müsse. Politische Konflikte würden dadurch tief emotionalisiert. Die neue ungarische Verfassung sakralisiere die Nation. Allein mit dem ersten Satz („Gott, segne die Ungarn!“) werde nicht die Verantwortung vor einer höheren Instanz, sondern mit dem wechselseitigen Bezug von Gott und Nation die Vorstellung eines auserwählten Volkes festgehalten. Im „Nationalen Bekenntnis“ würden historische Tatbestände angeführt, die den Ungarn Anlass böten, stolz zu sein. Hier würde eine falsche Kontinuität unter Ausklammerung der Verantwortung für Verfehlungen propagiert. Bestätigt werde diese politische Strategie mit der Gestaltung des im März 2014 errichteten „Deutschen Besatzungsdenkmals“, bei dem das ungarische Volk allein als Opfer deutscher Gewalt im 2. Weltkrieg dargestellt werde.

 

Isabell Hoffmann von der Bertelsmann Stiftung stellte schließlich die Ergebnisse einer von ihr verantworteten empirischen Studie über die Netzaktivitäten europäischer Rechtspopulisten mit Hilfe von Schaubildern vor, auf denen die Kommunikationswege aufgezeigt wurden. Mit Ausnahme der britischen Partei UKIP gelte, dass die Rechtspopulisten in ihrer Netzkommunikation sowohl innerstaatlich als auch bei dem grenzüberschreienden Datenaustausch weitgehend unter sich blieben. UKIP sei dagegen bestens vernetzt mit der britischen Medienlandschaft. Freilich ist damit keine abschließende Aussage über den Einfluss rechtspopulistischer Parteien auf den Mainstream getroffen.

 

Eine Podiumsdiskussion rundete die Tagung zu einer Problematik ab, der sich die europäischen Länder noch lange werden stellen müssen.

 

Auf der sich an die Tagung anschließenden Mitgliederversammlung wurde der frühere, dreieinhalb Jahrzehnte lang die Gesellschaft als Vorsitzender leitende Dr. Hans-Henning Neß zum Ehrenvorsitzenden gewählt, nachdem die dafür erforderliche Grundlage in der Satzung geschaffen worden war.

 

Ernst-Walter Warnecke 


Einzelne Vorträge können auf Anforderung bei unserer Geschäftsstelle hin  übermittelt werden:

  • Der Vortrag von Herrn Dr. Balogh kann sowohl als Anhang zu einer E-Mail als auch per Post versendet werden.
  • Die Powerpoint-Versionen der Vorträge von Herrn Krause und Herrn Kiszelly können nur auf dem online-Weg überlassen werden.
  • Die Pdf-Fassung des Vortrags von Frau Hoffmann ist direkt im Internet abrufbar:  www. Bertelsmann-stiftung.de/populisten.